Warentransporte neu gedacht - Busse und Bahnen im Lieferverkehr

Der stetig zunehmende Lieferverkehr und die aktuellen Klimaziele erfordern die Entwicklung und Erprobung neuer Wege für die Paketzustellung. Im ländlichen Raum könnte die Kombination mit dem gerade in Randzeiten oft weniger ausgelasteten Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eine Option sein.

Freie Kapazitäten im Personennahverkehr nutzen

Das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr hat daher zwei Projekte des Instituts für angewandte Logistik (IAL) der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt zu diesem Thema gefördert. Unter der Leitung des Logistikexperten Prof. Dr. Ulrich Müller-Steinfahrt wird dabei untersucht, ob und wie eine Paket- und Warenmitnahme im ÖPNV möglich ist und wie sich die weniger ausgelasteten ÖPNV-Angebote effizienter nutzen lassen.

Ein Mann verlädt zwei Container mit Paketen über eine Rampe in einen Regionalzug
© Patrick Klein

Ziel ist es, ein breites Spektrum an potenziellen Lösungsansätzen für die Nutzung von Buslinien und Regionalbahnen unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten in Bayern zu entwickeln und aufzuzeigen, wie diese unter den Gesichtspunkten von Wirtschaftlichkeit, ökologischer Nachhaltigkeit, rechtlichen Rahmenbedingungen und Prozessoperabilität betrieben werden könnten.

Um eine systematische Potenzialprüfung zu ermöglichen und die relevanten regionalen Gegebenheiten zu berücksichtigen, wurde in beiden Projekten die Methode des „morphologischen Kastens“ angewendet. Diese Methodik verschafft dem Nutzer einen schematischen Überblick über alle verfügbaren Optionen im betrachteten Kontext in Form einer Matrix. Auf Basis dieser Matrix kann der Nutzer verschiedene Parameter anhand ihrer Ausprägungen bewerten und die Option vermerken, die die Gegebenheiten vor Ort am besten abbildet oder das Versorgungskonzept für den Einsatz von Bussen oder Bahnen zutreffend charakterisiert. Dies gewährleistet ein strukturiertes und ganzheitliches Vorgehen und dient als Baukasten für die Entwicklung zukünftiger passender Konzepte in beiden Vorhaben.

1. Das Hybridbus-Konzept

Das Projekt „Hybridbusse – Lieferservice unter Nutzung von Bussen des ÖPNV“ greift die insbesondere im ländlichen Raum oft vorzufindende Problematik fehlender Eigenwirtschaftlichkeit der betriebenen Linien auf. Aufgrund geringer Fahrgastzahlen bei gleichzeitig oft langen Strecken im Linien- und Rufbusverkehr sind freie Kapazitäten verfügbar, die durch den in ländlichen Regionen ebenso wirtschaftlich kritischen Pakettransport genutzt werden könnten. So könnten Waren im Streckenverlauf verteilt werden, während sich für den ÖPNV eine zusätzliche Einnahmequelle erschließt.

Zudem hat eine hybride Nutzung der Busse – also der gemeinsame Transport von Personen und Waren – auch das Potenzial, Warentransporte teilweise zu substituieren, dies würde die Gesamtzahl an gefahrenen Strecken reduzieren und sich damit positiv auf die ökologische Nachhaltigkeit auswirken. Hybridbus-Konzepte müssen immer regionalspezifisch ausgestaltet werden, da die dafür entscheidenden Eigenheiten der Zielregion, der Buslinien und der Versender- und Empfängerstruktur heterogen sind.

Der Linienbus transportiert nicht nur Fahrgäste, sondern auch Paketsendungen im mitgeführten Anhänger.
© Patrick Klein

Im Projekt wurden deshalb zunächst alle relevanten Parameter analysiert, die eine spezifische Situation beschreiben und in einem morphologischen Kasten zusammengetragen.
Ergänzend dazu wurde ein zweiter morphologischen Kasten mit den potenziellen Gestaltungsparametern einzelner Lösungsansätze, entlang der wichtigsten Geschäftsprozesse, für deren alternative Abwicklung sowie für die Abholung und Auslieferung entwickelt. In den Regionen Kulmbach und Kronach konnte die Anwendung der beiden morphologischen Kästen erprobt werden. Hierbei wurden, unter Einbeziehung der individuellen Gestaltungsparameter aus den „Baukästen“ neun verschiedene Konzepte erarbeitet. Diese sahen Vorrichtungen im Innenraum des Busses sowie auch die Nutzung von Anhängern vor. In Kooperation mit einem Busunternehmen aus Hof wurden die modellierten Lösungen erfolgreich auf die Praxistauglichkeit erprobt.

Ferner erfolgte eine Akzeptanzanalyse, die auf eine hohe kundenseitige Bereitschaft zur regelmäßigen Nutzung hinwies. Dabei wurde von den Befragten u. a. eine flexible und wohnortnahe Zustellung der Waren sowie eine Retourenmitnahme gefordert.

Zusammenfassend stehen den positiven Reaktionen der Befragten und der prozessualen Machbarkeit, die regionalspezifisch unterschiedlich ausfallen kann, eine fehlende Bereitschaft seitens der Kurier-Express- und Paket-Dienstleister (KEP-DL) und der lokalen Busunternehmen entgegen. Zum einen sind die operativen Systeme bei den Paketdienstleistern oft sehr starr und wenig anpassungsfähig und zum anderen wird die Unsicherheit der positiven wirtschaftlichen Effekte als Hemmfaktor genannt. Seitens der Busunternehmen ist der Fahrermangel im ÖPNV herausfordernd, um ein derartiges Transportsystem für Personen und Waren dauerhaft zu betreiben. Als nicht begrenzend für eine operative Umsetzung zeigten sich hingegen fahrplanspezifische Restriktionen oder eine Anpassungsfähigkeit von Zeiten.

2. Das intermodale Schienen-Konzept: Warentransport in Regional- und S-Bahnen

Der Mitarbeiter eines Paketdienstleisters belädt ein Schienenfahrzeug des ÖPNV.
© Patrick Klein

Im noch laufenden Projekt „Intermodale Paketlogistik –Einsatz der Regionalbahnen auf der vorletzten Meile“ untersucht das IAL, inwieweit eine gemeinsame Nutzung von Schienenfahrzeugen des ÖPNV für Personen und Güter möglich ist.

Die besondere Relevanz der Studie erklärt sich aus den Herausforderungen der KEP-DL und der Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Während die Erstgenannten vor der Aufgabe stehen, insbesondere ländliche Regionen möglichst wirtschaftlich mit Paketsendungen zu versorgen, fahren Letztgenannte abseits der Hauptstoßzeiten oft mit leeren Zügen. Deswegen soll die Untersuchung hybride Lösungsansätze für den Transport der Pakete auf der Schiene mit anschließender möglicher Feinverteilung am Zielbahnhof entwickeln.

Sicherung eines Rollbehälters für den Transport
mit dem ÖPNV.
© Patrick Klein

In einem mehrstufigen Auswahlverfahren erfolgte eine Vorauswahl von sechs Modellregionen in Bayern. Dabei wurden Aspekte wie die Distanz zwischen den Depots der umliegenden Paketdienstleister und dem Abgangsbahnhof, dem Paketaufkommen in der Region und der Schienenanbindung der zu versorgenden ländlichen Gebiete bewertet. Ähnlich dem Hybridbus-Konzept wurden die Beschaffenheit der Region und die Gestaltungsparameter potenzieller Lösungsansätze in zwei morphologischen Kästen erfasst. Auf Basis der mit dieser Methodik aufgezeigten Eigenschaften fiel die Wahl der Modellregion auf die Strecke der S2 von Nürnberg Reichelsdorf nach Roth. Ausschlaggebend für die Entscheidung waren die hohe Taktung der S2 sowie die unmittelbare Nähe von fünf KEP-DL im Radius von vier Kilometern in der Abgangsregion.

Pakettransport mit dem ÖPNV durch einen Fahrgast.
© Patrick Klein

Um einen umfassenden Überblick zu gewinnen, decken die Konzepte drei verschiedene Integrationsgrade ab. Je höher der Grad der Integration, desto stärker ist der Eingriff in den Status quo. Grad 1 setzt bei Handgepäcklösungen an. Grad 2 beinhaltet eine Nutzenanpassung des Innenraums, um u. a. die Zeiten des Beladens und der Ladungssicherung zu verkürzen. Grad 3 setzt eine intensivere Kooperation des EVU und der KEP-DL voraus, um Aspekte wie Fahrtzeiten und Personal abzustimmen. Die Konzepte der Grade 1 und 2 wurden in zwei Realtests erfolgreich erprobt, wobei der zweite im Live-Betrieb stattfand. Aktuell wird eine im Zuge der Studie durchgeführte Pendlerbefragung zur Paketmitnahme als Handgepäck ausgewertet.

Ausblick

Beide Machbarkeitsstudien belegen unter ausgewählten Parametern eine technische, ökologische und ökonomische Umsetzbarkeit.

Die größte Hürde in beiden Projekten stellt das Aufbrechen etablierter Strukturen bei ÖPNV-Betreibern und KEP-DL dar. Zudem ist die rechtliche Umsetzbarkeit der Einnahmenteilung unter den betreibenden Akteuren nicht ausreichend geklärt.

Im nächsten Schritt wäre in einem Reallabor unter Projektbeteiligung der relevanten Stakeholder gemeinsam an der nachhaltigen Umsetzung passender Lösungsansätze zu arbeiten.